Erinnerungspolitischer Paradigmenwechsel

 

Presseerklärung 26.01.2004

 

Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in der Bundesrepublik Deutschland:

 

Warnungen des Zentralrates der Juden in Deutschland vor erinnerungspolitischem Paradigmenwechsel berechtigt

 

Der Zentralrat der Juden in Deutschland, der Zentralrat deutscher Sinti und Roma, die Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz sowie die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes haben ihre Mitarbeit in der sächsischen Gedenkstättenstiftung niedergelegt. Anlaß ist das neue sächsische Gedenkstättengesetz, das bezeichnendes Licht auf politische Tendenzen zur Umwertung der Erinnerungskultur in der Bundesrepublik weit über Sachsen hinaus wirft. Nicht Proporzgerangel oder Opferkonkurrenz stehen zur Debatte, sondern parteiische Instrumentalisierung der Erinnerung sowie die zukünftige Qualität der Erinnerungskultur.

 

Obwohl die Arbeit der Gremien der sächsischen Stiftung seit Jahren von NS-Opferverbänden kritisiert wird, soll das sächsische Gedenkstättengesetz zur Grundlage eines Bundesgedenkstättengesetzes werden, das - von einer Gruppe CDU-Abgeordneter unter Federführung des Berliner Abgeordneten Günter Nooke ausgearbeitet - am 30. Januar im Bundestag beraten werden soll. Dieser Gesetzentwurf kündigt Grundlagen für die Gedenkstättenarbeit auf, die im Rahmen der noch in der Regierungszeit Bundeskanzler Kohls eingesetzten "Enquetekommission zur Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit" 1995 - 1998 in einem breiten, pluralen Diskussionsprozeß unter Anhörung aller Opferverbände und zahlreicher Sachverständiger gefunden wurden. Entsprechend dem sächsischen Stiftungsgesetz sollen weniger die konkreten Geschichten der zwei deutschen Diktaturen in ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten als vielmehr pauschal totalitäre Gewaltherrschaft erinnert werden. Trennschärfe und Exaktheit geschichtlicher Darstellung als unabdingbare Voraussetzungen des antitotalitären Konsenses gehen auf diese Weise verloren. Es fällt beispielsweise nicht mehr ins Gewicht, daß der Nationalsozialismus ganz und gar hausgemacht war, die SED-Diktatur dagegen hauptsächlich auf den Bajonetten der Roten Armee beruhte.

 

Die Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in Deutschland hat volles Verständnis für den Rückzug der Zentralräte sowie der NS-Opferverbände und sie teilt die Befürchtung, daß mit der Gleichsetzung beider Diktaturen die NS-Verbrechen verharmlost und relativiert sowie falschen Vergleichen, Opferaufrechnungen und verzerrten Geschichtsdarstellungen Tür und Tor geöffnet werden. Diese Befürchtungen werden dadurch verschärft, daß sowohl das sächsische Stiftungsgesetz wie der Entwurf für ein entsprechendes Bundesgesetz politischer Einflußnahme den Weg ebnen.

 

So werden nicht nur NS-Opferverbände an den Rand gedrängt, sondern der Entwurf für ein Bundesgedenkstättengesetz marginalisiert auch die Geschichtswissenschaft als Korrektiv sachlich nicht haltbarer Geschichtsbilder. Darüber hinaus verschwindet der auf Grund seiner Geschichte zwingend europäisch-dialogische Charakter der Erinnerung an den Nationalsozialismus in einer Renationalisierung der Erinnerungskultur. Dies alles erinnert - unter umgekehrten Vorzeichen - an die Geschichtspolitik der DDR. Zu denken gibt zudem, daß die Stiftung und das Bundesland zum Vorbild für die institutionelle Formung der Erinnerungskultur der gesamten Bundesrepublik gemacht werden sollen, in denen es offenbar aus parteipolitischen Gründen immer wieder zu vorprogrammierten Konflikten gekommen ist. Man denke nur an das Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung. Zudem zeugt die Auflistung förderungswürdiger Gedenkstätten von ungenügender Sachkenntnis. Für die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus wie der SED-Diktatur wichtige Gedenkstätten - z. B. Flossenbürg oder Roter Ochse, Halle - werden nicht einmal erwähnt.

 

Es gibt keinen sachlichen Grund, die Konzeption des Bundes für die Förderung der Gedenkstätten, die aus den Empfehlungen der Enquetekommission zur Überwindung der Folgen der SED-Diktatur im Prozeß der deutschen Einheit hervorgegangen und seit dem Jahr 2000 in Kraft ist, durch ein neues Gesetz zu ersetzen. Die Konzeption privilegiert weder die eine noch die andere Erinnerungssphäre. Vielmehr ist es nicht zuletzt vor dem Hintergrund des absehbaren Schwindens der Zeitzeugen aus der Zeit des Nationalsozialismus wichtig, die Errungenschaften demokratischer Erinnerungskultur zu bewahren und für die Zukunft nach der Zeitgenossenschaft zu sichern und die Auseinandersetzung mit der SED-Diktatur - gerade weil sie für die Bildung des antitotalitären Konsenses unabdingbar ist - nicht durch unhaltbare Gleichsetzungen und politische Indienstnahmen zu beeinträchtigen.

 

 

Prof. Dr. Volkhard Knigge

 

Sprecher der Arbeitsgemeinschaft der KZ-Gedenkstätten in Deutschland Direktor der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

 

Weitere Mitglieder der AG der KZ-Gedenkstätten sind: 

 

Dr. Barbara Distel, Leiterin der KZ-Gedenkstätte Dachau; Prof. Dr. Sigrid Jacobeit, Leiterin der Gedenkstätte Ravensbrück; Dr. Detlef Garbe, Leiter der KZ-Gedenkstätte Neuengamme; Thomas Lutz, Gedenkstättenreferent der Stiftung Topographie des Terrors; Prof. Dr. Günter Morsch, Direktor der Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten, Leiter der Gedenkstätte und Museums Sachsenhausen; Jörg Skriebeleit, Leiter der Gedenkstätte Flossenbürg; LRD Wilfried Wiedemann, Landeszentrale für politische Bildung Niedersachsen / Gedenkstätte Bergen-Belsen; Dr. Jens Wagner, Leiter der Gedenkstätte Mittelbau-Dora.